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Mit Möbeln Geschichten erzählen

Madeleine hat in der Formensprache des Holzes ihr berufliches Zuhause gefunden. Sie denkt viel, arbeitet hart und hört ganz genau hin, um aus Kundenwünschen passende Möbel herzustellen.

Sie fordert sich und ihre Umgebung gerne heraus. So auch mich, als ich Madeleine mit meinem Laptop im Cafè gegenüber sitze. Das Gerät irritiert sie. Dieses Portrait entsteht schliesslich aus dem Gedächtnis heraus. Sie braucht Blickkontakt. Gesprächspartner sollten mit allen Sinnen dem Gespräch folgen, erst dann entstehe ein lebendiger Dialog. Einleuchtende Worte.

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Die Frage, warum sie Schreinerin geworden ist, findet Madeleine nicht mehr spannend. Das sei zu lange her, meint sie. Viel interessanter wäre die Frage, warum sie immer noch diesen Beruf ausübe.

Blick zurück

Die ersten beiden Lebensjahrzehnte fanden in Madeleines Kopf statt. Sie besuchte das Gymnasium und absolvierte die Matura. Aus Jux und ein bisschen Trotz lehnte sie ein Studium ab und verkündete, sie wolle eine Lehre machen. Dahinter steckte durchaus ein wahrer Kern, sonst wäre sie nicht bis heute als Schreinerin tätig. Madeleine wollte Sachen herstellen, die man braucht. Möbel erfüllten diesen Anspruch am besten.

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Der Versuch, im Anschluss ans Gymnasium eine Schnupperstelle zu finden, scheiterte mehrmals. Unter anderem musste ein fehlendes Frauen-WC als Begründung herhalten. Aber Madeleine spürte, dass die Kombination „Frau und Gymnasiastin“ abschreckend auf Schreiner wirkte. Das hatte aber auch etwas Gutes. Dadurch fokussierte sich ihre Suche und führte sie in die Werkstatt eines 64-jährigen Schreiners. Dieser nahm sie in die Lehre, ohne lange zu zögern. Er sah auf den ersten Blick, dass sie sich beide gegenseitig herausfordern würden. Madeleine wollte zuerst mit Hilfsjobs das nötige Kleingeld für die Lehrjahre zusammen sparen. Doch ihr zukünftiger Lehrmeister zerschlug diesen Plan mit den Worten: „Wenn ein junger Mensch weiss, wo er hin will, soll er nicht länger zuwarten“. Er bezahlte ihr kurzerhand mehr Lohn.

Die Lehrjahre waren eine tolle Zeit und die kernige, geradlinige Haltung des alten Schreiners hinterliess eine bleibende Wirkung auf Madeleine. Er war und ist für sie ein grosses Vorbild. Als sie ihn kurz vor seinem Tod im vergangenen Jahr besuchte und ihm Fotos von ihren Arbeiten zeigte, meinte er: „Es ist gut, wenn die Lehrtochter besser wird als ihr Lehrmeister.“ Eine reife Antwort.

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Szenenwechsel

Madeleine steht mit einer Praktikantin vor einem Bretterstapel. In möglichst rückenschonender Haltung platzieren sie die Bretter um. Mehrere hundert Kilogramm schwere Holzstämme werden viele Male umgebettet, bevor sie als Möbelstück die Werkstatt verlassen, erzählt Madeleine. Die Praktikantin, eine gelernte Handarbeitslehrerin, weiss genau, worauf sie sich hier einlässt. Madeleine stellt fest, dass in den letzten Jahren Anfragen junger Erwachsener für ein Praktikum zugenommen haben. In ihrer Winterthurer Werkstatt ist ausserdem eine junge Frau angestellt, die nach der Lehre ein Studium absolviert hat, und nun wieder auf ihrem erlernten Beruf arbeitet.

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Madeleine setzt sich Ohrenschützer auf und schaltet die Fräsmaschine ein. Es wird laut in der Werkstatt und Staub wirbelt auf. Die Arbeit fordert den Körper heraus. Das Kreuz tut immer wieder weh. Sie muss ihrem Körper mit Kraftübungen, Akupunktur und Massagen permanent Sorge tragen. „Das Leben braucht einen. So ist das nun mal“, stellt Madeleine fest. Die heutige Gesellschaft versuche das zu verhindern, indem sie Elektrovelos und andere Hilfsmittel erfindet. Sie betrachtet auch den Weiterbildungswahn bis ins hohe Alter und die ständige Suche nach einem neuem Kick mit kritischen Augen.

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„Den Jungen gebührt die Tat, den Älteren der Rat“, fasst sie zusammen. Gegen eine solide Grundbildung hat sie nichts einzuwenden. Das braucht es. Aber irgendwann ist Schluss mit Scheine sammeln. Sie möchte einen anderen Weg gehen und hat sich bewusst gegen eine höhere Ausbildung entschieden.

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Seit gut 20 Jahren ist Madeleine nun schon als Schreinerin tätig. Vor zwölf Jahren schaffte sie den Sprung in die Selbständigkeit. Sie kaufte die Hälfte einer Werkstatt, die sie mit einem anderen Schreiner teilt. Existenzängste hätten sie nie geplagt. Vom ersten Tag an sei das Geschäft gelaufen. Klar, das Sommerloch brauche gute Nerven. Aber sie zerbricht sich lieber über andere Dinge den Kopf.

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Angesichts des herrschenden Materialismus und der Ressourcenknappheit stellt sich Madeleine zum Beispiel die Frage, wofür sich ihre Arbeit überhaupt lohnt. Ihre Antwort ist einfach und klar: „Wenn man wenig, aber gute Möbel produziert, dann macht das ganze Sinn“. Anders als bei CNC-gefertigten Möbelstücken steckt in ihren Werkstücken echter Handschweiss und der Flair unregelmässiger Perfektion. Sie schafft Unikate.

DSC_0202 Bett aus Nussbaumholz

Im Dialog

Einrichtungsgegenstände machen sichtbar, wie jemand denkt, lebt, liebt, geniesst und so weiter. Madeleine sucht den direkten Kontakt mit ihren Kunden, um Bedürfnisse und Wünsche möglichst genau zu ergründen. Sie schlüpft in die Rolle einer Dolmetscherin und übersetzt Kundenwünsche in die Formensprache des Holzes. Manchmal hat dieser Akt auch etwas alchemistisches, weil sich Vorstellungen von Kunden nicht immer simultan übersetzen lassen. Dann versucht Madeleine, die Essenz herauszufiltern.

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Auch wenn es äusserlich so erscheint, als ob Madeleine tagaus tagein immer dieselbe Arbeit verrichtet, so findet innerlich eine grosse Entwicklung statt. Die Sichtweise, mit der sie ihrem Handwerk begegnet, hat sich über die Jahre verändert. Als junge Schreinerin konnte sie kaum loslassen von ihren Werkstücken. Später konzentrierte sie sich mehr auf die Herstellung. Heute strebt sie nach der Reduktion auf das Wesentliche, das sie im umfassenden Prozess vom Kundenkontakt über den Entwurf bis hin zur Herstellung verborgen sieht.

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Ein besonderes Ereignis sind zum Beispiel die Arbeitseinsätze im Haus eines japanischen Chelistenpaares, wo Madeleine bereits die halbe Wohnungseinrichtung eingebaut hat. Jedes Mal findet eine Teezeremonie statt. In diesen Momenten erkennt sie den übergeordneten Sinn ihres anstrengenden Handwerks. Sie weiss, dass ihre innere Haltung eine entscheidende Rolle in ihrer weiteren Entwicklung spielen wird. In diesem Prozess sind Wachsamkeit und absolute Ehrlichkeit der eigenen Intuition gegenüber wichtige Voraussetzungen. „Letztlich“, sinniert Madeleine, „stecken Antworten immer in einem drin und das Gefühl sorgt für die richtige Entscheidung.“

*** ende ***

PS: Auf der Suche nach einer Schreinerei in Winterthur bin ich über Google auf Madeleines Webseite gestossen. Ein Telefonat und mehrere Besprechungen später gab ich ihr per Handschlag den Auftrag für ein Bett aus Nussbaumholz. Madeleine hat ganz genau hingehört, wie ich mir mein neues Bett vorstelle. Herausgekommen ist ein wunderschönes, schlichtes Möbelstück, das sich sehen lässt. Mit dem richtigen Bettinhalt schläft es sich darin wie auf einer Wolke.

Ich danke Madeleine für das Interview am 17.1.2014 im Cafè Fahrenheit, das – dank ihrer Hartnäckigkeit – völlig anders verlief, als alle bisherigen Interviews. Ein erhellendes Experiment.

Link auf die Webseite von Madeleine Burkhardt: http://www.mburkhardt.ch

Text und Fotos: Barbara Sorino

  1. Jede Bloggeschichte freut sich über deinen Kommentar. So auch diese über Madeleine, die sich als junge Maturantin Hals über Kopf in das wunderbare Material Holz verguckt hat.

    31. Januar 2014
  2. vegenalletwi #

    Schöne Geschichte, ich mag auch die manchmal leicht abweichenden Haltungen dieser Schreinerin.
    (PS: es heisst «Madeleines Webseite» 😉 )

    3. Februar 2014

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