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Spontan, provokant, mutig

Linas ist 15 Monate alt und Mayas grosser Schatz. Sie bietet ihr eine perfekte Bühne für ihre ausgeprägte Spontanität, ihr Kontaktbedürfnis und ihre Leidenschaft, gemütliche Orte zu schaffen. Ihr jüngster Wurf bescherte Maya aber auch eine Menge schlafloser Nächte…

Hätte Maya gewusst, was auf sie zukommt, hätte sie wohl ihre schillernden Pläne einer eigenen Bar kurz nach deren geistiger Zeugung wieder aufgegeben. Hat sie aber nicht. Stattdessen ist sie sieben Jahre lang mit ihren gewagten Ideen schwanger gegangen und hat sich wacker allen möglichen Komplikationen und Geburtswehen gestellt.

Das 150-jährige Haus an der Wartstrasse 38 in Winterthur, in dem Lina`s Bar quasi geboren wurde, verknüpft Maya mit wunderbaren Kindheitserinnerungen. Das Haus gehörte bereits ihrem Urgrossvater, der hier als Schuhmacher arbeitete. Grossmutter Lina zog in dieses Haus ein, als Maya`s Mutter im Primarschulalter war. Sie und ihr Ehemann führten im Haus das rundum bekannte Hagmann Damen- und Herrenwäschegeschäft. Lina war eine Bombengrossmutter. Jetzt, mit 94 Jahren, leidet sie an Demenz und lebt in einem Altersheim. Damals aber, als Maya ein Kind war, hat Grossmutter Lina jeden Blödsinn mitgemacht. Wenn Maya Doktorin spielen wollte, stellte sie sich krank und Maya durfte sie auf dem Küchenboden liegend untersuchen.

Lina

Maya hat viele Nächte bei ihrer geliebten Grossmutter verbracht. Inzwischen gehört ihr das Haus. Sie hat es nach unzähligen durchwachten Nächten gekauft, mit grossem Aufwand renoviert und sich oben ein privates Nest und unten ihre heiss ersehnte Bar eingerichtet. Zuvor hatte sie lange nach einer passenden Lokalität in Winterthur gesucht. Als der damals eingemietete Briefmarkenladen gekündigt hatte, schlug ihr Onkel und Verwalter der Liegenschaft vor, sie solle ihre Pläne doch in Lina`s Haus verwirklichen.

Maya auf Couch

Bevor Maya den Schritt wirklich wagte, bereitete sie sich intensiv darauf vor. Sie besuchte Kurse, schaute anderen Bar- und Bistrobesitzern über die Schulter und professionalisierte ihre Barkeeper-Fertigkeiten in privaten Cocktailparties bei sich zu Hause.

Maya beim Cocktail mixen

Linas_Rahmen und Flaschen

Der Name der Bar stand ziemlich bald fest. Maya wollte sie zu Ehren ihrer Grossmutter Lina`s nennen. Das Erscheinungsbild sollte eine Mischung aus jung und alt sein –  ein Abbild der Welt der Grossmutter und deren Enkelin. Deshalb findet man im Lina`s Verschnörkeltes, Blümchen und Lina`s alte Möbel, die teilweise pink lackiert oder mit modernen Möbelelementen kombiniert wurden.

Linas_bunte Lichterkette

Linas_Möbel und Blümchen

Als es richtig losging und Maya das baufällige Haus im November 2010 kaufte, bekam sie kalte Füsse. Und als sie im Frühjahr 2011 mit dem Umbau begann, wurden ihre Füsse eiskalt. Denn es ging und ging nicht vorwärts. Die Handwerker liessen sich Zeit. Viel zu viel Zeit. Ein Albtraum für Maya, die eigentlich im Sommer eröffnen wollte. Sie hatte ihren sicheren Job im Kinderhort bereits gekündigt und ihr Privatkonto geplündert. Ihr ganzes Geld hat sie in die Bar investiert und fürchtete nun zu Recht um ihre Existenz.

Endlich – am 28. Oktober 2011 konnte sie ihre Bar eröffnen. Höchste Zeit! Nun aber kam die nächste bange Frage: werden überhaupt Gäste kommen? Sie kamen. Inzwischen geht Maya mit solchen Ängsten gelassener um. An mageren Tagen beruhigt sie sich damit, dass die Gäste dann eben am nächsten Tag kommen.

Maya hinter Bar

Linas_Einblick von aussen

Die Verbundenheit mit dem Haus und die Gäste sind Maya`s Motor. Dafür lohnt es sich, bis zu 14 Stunden nonstop hinter dem Tresen zu stehen, Cocktails zu mixen und den Gästen gemütliche Stunden zu bescheren. Es ist Maya`s erklärtes Ziel, dass sie sich wohler als zu Hause fühlen. Das schafft sie auch tatsächlich. Aber wenn sie Gäste zur Sperrstunde regelrecht rausschmeissen muss, weil sie sich in Lina`s „Stübli“ wohler fühlen als in den eigenen vier Wänden, verwundert sie das schon ein wenig.

Linas_Stübli

Maya geniesst den Trubel und den direkten Austausch mit ihren Gästen. Sie schliesst immer wieder neue Freundschaften und verkuppelt Leute, die sich in irgendeiner Hinsicht etwas zu sagen haben. In ihrem Laden geniesst Maya Narrenfreiheit. Hier kann sie ihr lautes, wildes und provokantes Naturell ausleben. Ihre Gäste müssen stets mit einem knackigen Spruch rechnen. Maya liebt den verbalen Schlagabtausch und die Reaktionen des Gegenübers. Wenn sie etwas in der Schweiz gerne anders hätte, dann das, dass die Menschen offener, spontaner, direkter aufeinander zu gingen. Nicht so furchtbar verhalten, vorsichtig, ständig alles abwägend und ängstlich. Die Schweizer sollten allgemein weniger Schwellenängste haben, ihrer kindlichen Neugier nachgeben und einfach ausprobieren.

Linas Eingang

Ein Klassiker sei, dass manche Gäste über mehrere Monate an der Bar vorbei laufen, dann irgendwann kurz die Nase herein strecken, nur um mal zu schauen und vielleicht später einmal etwas trinken zu kommen. Maya zieht hier eine Parallele zur fehlenden Abenteuerlust in Bezug auf Ideen und Projekte. Sie selber hat ihrem Umfeld jahrelang ihre verrückten Pläne unter die Nase gerieben. Nicht alle teilten ihren Enthusiasmus und ihre felsenfeste Überzeugung, dass es klappen wird. Ja, es braucht Mut und den unbändigen Willen, es zu tun, koste es was es wolle. Man muss alles auf eine Karte setzen, 300 Prozent Energie in die eine Sache stecken und mit dem Risiko klar kommen, dass es allenfalls Bach ab gehen kann.

Dass sich Maya`s Mut und Authentizität ausgezahlt haben, zeigt sich daran, dass Maya mit 95 Prozent der Gäste ihre helle Freude hat. Höchst selten muss sie einen Besucher aus dem Lokal verweisen. Der grosse Rest aber fühlt sich pudelwohl im Lina`s.

Linas_Gäste

Lina`s Bar hat auch ihre Schattenseiten. Insbesondere wenn man im selben Haus wohnt. Maya kämpft damit, sich in ihrer Freizeit abzugrenzen und abzuschalten. An den Tagen, wo Mitarbeiter Gaetano den Laden schmeisst, hört, sieht und riecht sie trotzdem ihre Gäste. Sie kann weder inkognito ihr Haus verlassen noch es betreten. Das zehrt! Ausserdem macht es ihr zu schaffen, dass sie von Gästen, die ihr nahe stehen, Geld verlangen muss. Zur Zeit zwickt es zu allem hin auch noch in ihrer Hüfte – kein Wunder bei ihrem Arbeitspensum.

Linas_Queen

Ganz oben auf Maya`s Wunschzettel für die Zukunft steht notabene mehr Freizeit, vor allem auch mal dann, wenn normale Menschen ihre Freizeit geniessen und Party machen – also abends oder am Wochenende. Gleichzeitig aber lodert das Feuer in Maya`s Brust munter weiter. Denn Routine ist ihr ein Gräuel. Sie hat auch schon tausend neue Ideen. Ihr Treuhänder muss sie deswegen immer wieder bremsen und sie zur Konsolidierung des bereits Erreichten überreden. Am liebsten würde Maya eine Bar nach der anderen eröffnen. Jede mit einem anderen Konzept und einem neuen Bühnenbild. Hier drückt ihre Liebe zur Architektur, zum Einrichten und Erschaffen neuer Lebenswelten durch. Wenn man Maya auf eine Baustelle stellt, dann jagen sofort tausend Ideen durch ihren Kopf. Und wenn sie erst einmal loslegt, dann sind aufgeregte Zeiten vorprogrammiert, in denen die Nerven auch mal blank liegen. Aber letzten Endes kommt immer alles gut, wie der Charme und die Beliebtheit des Lina`s bestätigen.

*** ende ***

PS: Ich muss mich ehrlicherweise als eine jener Klassiker outen, die mehrmals an Lina`s Bar vorbeimarschierten, bevor sie reingingen. Zuerst dachte ich nämlich, es handle sich um einen edlen Antiquitätenladen. Da ich eine Schwäche für schöne, alte Sachen habe, betrat ich dann doch eines Tages Lina`s Bar. Seitdem bin ich Fan von Maya`s sensationellem Cappuccino und ihrer gewinnenden Herzlichkeit. Maya ist in meinen Augen ein lebendiger Beweis dafür, dass es sich lohnt, allen inneren und äusseren Kritikern (Zitat: „Hirnificker“) zum Trotz an ein Projekt zu glauben und es umzusetzen – wenn`s sein muss mit hohem Energiezoll.

Ich danke Maya für das spannende Interview am 25.Januar 2013!

Besuchen Sie Lina`s Bar unter www.linas-bar.ch oder am besten vor Ort – direkt und spontan!

Text und Fotos: Barbara Sorino