Tierisch gut

Es braucht einigen Mut, viel Geduld und eine ausgefeilte Planung, um mit vier Tigern und sechs Hunden im Gepäck nach Deutschland auszuwandern. Remo aus der Schweiz und seine deutsche Lebensgefährtin Alexandra haben es gewagt und in Bell nahe der belgisch-luxemburgischen Grenze einen Tierpark eröffnet.
Eigentlich suchten die beiden in der Schweiz eine gemeinsame Wohnung für sich und ihre Tiere, was sich aber als äusserst schwierig erwies. Sie dehnten deshalb ihre Suche aus und wurden schliesslich in Deutschland fündig. Ein ehemaliger Freizeitpark und Streichelzoo war wie geschaffen für ihre Pläne. Doch bis sie ihren eigenen Tierpark am 4. April 2015 eröffnen konnten, floss einiges Wasser den Rhein hinab Richtung Bell.
Wie alles begann…
Alexandra wusste schon früh, was sie will, nämlich als Selbständige mit Huskies und Menschen arbeiten. Um dieses Ziel zu erreichen, ging sie in ihrer beruflichen Ausbildung systematisch und zielstrebig vor. Sie legte in Deutschland das kaufmännische Fachabitur ab und absolvierte im Anschluss eine Lehre zur Sport- und Fitness-Kauffrau. Gleichzeitig studierte sie Tierpsychologie. Um ihrem Traum noch näher zu kommen, ging sie zunächst nach Finnland, wo sie als Hundeschlittenführerin und Erlebnisguide arbeitete. Später zog sie in die Schweiz, wo die Wetterbedingungen für die Arbeit mit Huskies ebenfalls gut sind.
Es dauerte weitere sechs Jahre, bis endlich der erste Husky bei Alexandra einziehen konnte. In dieser Zeit arbeitete sie zunächst im Wassererlebnispark Alpamare in Pfäffikon (Schwyz) und dann als Hundetrainerin. An diesem Punkt kam Remo ins Spiel, der damals auf der Suche nach einem Hund war. Remo engagierte Alexandra schliesslich als Trainerin für seinen neuen Hund. Schnell war den beiden klar, dass ihre Lebensvorstellungen eine grosse Schnittmenge bildeten und sie ihr Leben in Zukunft gemeinsam mit ihren Tieren gestalten wollten.
Wie wird man stolzer Besitzer von vier Tigern?
Remos Werdegang drehte sich zwar auch von Jugendbeinen an um Tiere, insbesondere um Raubtiere, aber seine Etappen zum Tigertrainer gestalteten sich etwas anders. Während seiner ersten Berufswahl gab es in der Schweiz noch keine Lehre zum Tierpfleger. Remo entschloss sich für eine Kochlehre, weil er sich mit diesem Beruf später eine Stelle in einem Zoo oder Tierpark erhoffte. Nach dem Lehrabschluss kochte er zunächst im Fünfsterne-Hotel Quellenhof in Bad Ragaz.
Die Sehnsucht, mit Tigern zu arbeiten, liess ihn jedoch nicht los. Wie es der Zufall wollte, stolperte er über ein Interview mit einem Schweizer Raubtiertrainer. Dieser bedauerte, dass es in der Schweiz nur wenige gibt, die sich für Raubtiere interessieren. Ausserdem suchte er zufällig einen Koch. Remo liess sich natürlich nicht zweimal bitten und war begeistert: Diese Arbeit wollte er im Grunde seines Herzens selber machen!
Als in der Schweiz doch noch die Lehre zum Tierpfleger eingeführt wurde, entschloss sich Remo für eine Zweitlehre im Walterzoo in Gossau. Dieser Zoo baute zu jener Zeit ein Ess-Variètè auf. Eines Tages fiel der Koch aus und Remo sprang kurzentschlossen ein. Das Essen kam bei den Gästen gut an! Remo kochte weiter und schloss seine zweite Lehre ab.
Sein eigentliches Ziel, mit Tigern zu arbeiten, drängte wieder an die Oberfläche. Die Zooleitung nahm sich seinen Wunsch zu Herzen und schaffte vier Tiger an. Dann kam die Liebe (Alexandra) ins Spiel und der Walterzoo musste Remo und seine Tiger schliesslich schweren Herzens ziehen lassen.
Verrückte Ideen ja, aber mit Hand und Fuss!
Alexandra und Remo betonen, wie wichtig eine gute fachliche Basis und eine umsichtige Planung für den Erfolg waghalsiger Ideen sind. Die wirtschaftliche Seite ihres Projektes hatte deshalb von Anfang an einen hohen Stellenwert. Immer wieder gehen sie über die Bücher, rechnen und überlegen, damit sie nicht eines Tages ohne etwas dastehen. Neue Elemente in ihrem Konzept werden immer auch auf ihre Wirtschaftlichkeit hin überprüft.
Mit Unwägbarkeiten müssen sie trotz umsichtiger Planung jederzeit rechnen. Um diese möglichst in Schach zu halten, gehen sie bei ihrer Planung immer vom Schlimmsten aus und versuchen möglichst viele Aspekte zu berücksichtigen. Schliesslich müssen sie dafür garantieren, dass 95 Tiere täglich genug zu Fressen und ein dichtes Dach über dem Kopf haben. 10 Tonnen Hundefutter, rund 15 Tonnen Fleisch, eine Tonne Früchte und Gemüse und Unmengen an Heu verschlingen rund 20.000 Euro pro Jahr. Ende März kommen weitere Tiere hinzu, sodass dann über hundert Mäuler zu stopfen sind – nicht zu vergessen das eigene Auskommen!
Derzeit leben 30 Hunde, davon 23 Huskies, verschiedenste Tiere vom Bauernhof, Wildtiere, 11 Papageien, ein Milchuhu, ein Königsbussard, Katzen, vier Tiger, schottische Hochlandrinder, verschiedene Kleintiere, Reptilien und Haustiere im Tierpark. Die meisten dieser Tiere stammen aus Tierheimen und Auffangstationen. Remo und Alexandra legen ausserdem Wert darauf, nicht nur exotische Tiere zu beherbergen, um den Besuchern die Vielfalt und die Fähigkeiten heimischer Tiere näher zu bringen. Remo ist für die Tigervorführungen zuständig und Alexandra trainiert neben ihren Hunden Kleintiere wie Ratten oder Frettchen. Als Falknerin kümmert sie sich ausserdem um den Königsbussard Khadira.
das weitläufige Tigergehege
„Isolation is a dreamkiller“ (Zitat von Barbara Sher)
Remo bringt es auf den Punkt, wenn er betont, dass so ein Projekt im Alleingang wohl nie Wirklichkeit geworden wäre. Viele helfende Hände haben mit angepackt. Alexandras Eltern haben sogar ihre Jobs aufgegeben, ihr Haus im Sauerland verkauft und mit den beiden gemeinsam Schritt für Schritt den Tierpark zum Leben erweckt.
Zu viert decken sie alle notwendigen Arbeitsbereiche ab: Alexandras Vater kümmert sich um alle handwerklichen Dinge. Ihre Mutter, eine ehemalige Apothekerin, hat das Restaurant und die Kundenbetreuung unter sich. Remo trainiert die Tiger und Papageien und ist für die Restaurantküche zuständig. Alexandra kümmert sich um die restlichen Tiere und kann ihr kaufmännisches Wissen einbringen. Familiäre Reibereien gibt es keine, weil der Tierpark genügend Freiräume bietet und alle dasselbe Ziel vor Augen haben, nämlich den Tierpark am Leben zu erhalten.
Sie sind nun quasi ihr eigener Chef, mit allen Sonnen- und Schattenseiten. Remo muss sich noch an den neu erworbenen Chefstatus gewöhnen. Beim Besuch anderer Tierparks passiert es ihm immer wieder, dass er sich als Tierpfleger zu erkennen gibt.
Hürden, Gottvertrauen und Freudenmomente
Als schwierigste Hürde gestaltete sich der Bebauungsplan, im Zuge dessen über 90 Amtsstellen ein gewichtiges Wörtchen mitreden wollten und zum Teil horrende Geldforderungen stellten. Doch die Gemeinde stand hinter dem Projekt, sodass sie nach einer Phase bangen Wartens schliesslich grünes Licht bekamen.
Keine Frage, das Projekt hat den vieren viele schlaflose Nächte beschert. Aber der Drang, ihren Traum zu verwirklichen, war immer stärker. Als das Grobkonzept stand und das passende Gelände gefunden war, mussten sie sich entscheiden: entweder jetzt investieren oder wertvolle Zeit verstreichen lassen? In dem Moment, als die Zahlungen für den Bebauungsplan und die Errichtung des Tigergeheges anstanden, war allen klar, dass es kein Zurück gibt und sie nun volle Kraft voraus denken und handeln müssen.
Der schönste Moment für Alexandra war, als Remo nach einem Jahr Fernbeziehung als letzter mit den vier Tigern in den Tierpark übersiedelte und sicher war, dass der Park eröffnet werden konnte. Remos Herz schlug höher, als am Tag nach der Eröffnung über 900 Personen den Tierpark besuchten. Ein tolles Gefühl, wenn das Konzept aufgeht und man andere Menschen begeistern kann.
Heute schauen sie stolz zurück auf das Erreichte. Sie haben sich einen Riesentraum erfüllt und spüren im Moment einfach nur Dankbarkeit und Zufriedenheit. Nun gilt es, die kritischen ersten drei Jahre gut zu überstehen und den Tierpark in kleinen Schritten weiter auszubauen. Mögen sie tierisch viel Glück und Freude dabei haben!
*** ende ***
P.S.: In der SRF-Sendung „Auf und Davon“ bin ich auf den Beitrag über Remo und Alexandra gestossen. Ihre charmante Geradlinigkeit und Tierliebe haben mich auf Anhieb fasziniert. Dass die beiden sich trotz Zeitmangel für ein Skype-Interview am 23. Februar 2016 zur Verfügung stellten, hat mich sehr gefreut. Ich hoffe, dass auch dieser Beitrag weitere Besucher in den Tierpark lockt. Die Sendung im Fernsehen hat jedenfalls dafür gesorgt, dass im Moment mehr Schweizer als Deutsche das Gästehäuschen im Tierpark buchen. Alle Informationen über den Tierpark findet man unter: http://www.tier-erlebnisparkbell.de
Text: Barbara Sorino
Fotos: Simone Schmidt, Kastellaun