Süsse Träume

Seit Nicole stehen kann, zieht es sie in die Küche, wo sie kocht und bäckt und dabei die Zeit vergisst. Wenn ihre verführerischen Kreationen anderen Menschen Freude bereiten, dann ist sie im siebten Himmel – und die Geniessenden sowieso.
Nicoles Leidenschaft für Biskuit, Marzipan und farbenfrohe Desserts ist schnell erzählt. Sie kann sich an keinen grossartigen Auslöser für ihre Liebe zum Backen erinnern. Es ist in ihren Augen das Normalste auf der Welt, nach neuen Rezepten zu suchen, mit viel Freude am Detail zu Experimentieren und Torten mit Bändern und echten Blumen zu verzieren. Sie schnappt sich jede Gelegenheit, ihre süssen Ideen in Desserts zu verwandeln und Menschen damit zu verzaubern.
In dieser Geschichte geht es nicht allein darum eine weitere Person vorzustellen, die weiss wofür ihr Herz brennt. Im Vergleich zu den bisher Porträtierten ist Nicole sehr jung und die Realisierung ihres Herzenswunsches steckt noch in den Kinderschuhen. Sie entwickelt sich in kleinen Schritten weiter, ohne ein grosses Ziel vor Augen zu haben. Vielleicht steht sie eines Tages vor der Entscheidung, einen grösseren Schritt zu wagen. Im Moment fühlt sie sich noch nicht bereit dafür. Diesen Zustand der Suche, der Unsicherheit und der vielen Fragezeichen möchte ich mit Nicoles Geschichte darstellen. Denn sie ist nicht die Einzige. Immer wieder begegnen mir Menschen in der Beratung, die während der Umsetzung ihrer Visionen in einem ähnlichen Geduldsspiel stecken. Dieser Blog soll dazu animieren, nie den Glauben an die eigenen Träume zu verlieren und nach dem Prinzip der kleinen, machbaren Schritte immer weiterzugehen.
Nach den Hindernissen gefragt, beschreibt Nicole ihr ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis, den Wunsch nach Normalität, ihre Mühe Entscheidungen zu fällen und dann Gas zu geben. Sie möchte sich absolut sicher sein, bevor sie zum Beispiel einen Berufswechsel in Angriff nimmt. Sie wolle nichts erzwingen. In ihrer Stimme schwingt aber auch Ernüchterung mit. Sie hat bereits Anläufe unternommen, ist aber letztlich immer wieder daran gescheitert, dass irgendetwas nicht gepasst hat. Es gibt Momente, in denen Nicole mit sich und der Welt hadert und daran zweifelt, ob sie jemals herausfinden wird, wie sie ihre Liebe zu Lebensmitteln beruflich ausleben könnte.
Nicoles Berufsentscheid am Ende der Schulzeit war nicht wirklich klar. Sie zog zwar eine Berufslehre als Konditorin in Erwägung, aber die speziellen Arbeitszeiten schreckten sie ab. Sie absolvierte schliesslich eine Lehre als Kauffrau in einer Medizinalfirma mit lehrbegleitender Berufsmaturität. Diese Ausbildung habe sie durchaus weiter gebracht und offener gemacht, aber so richtig glücklich wurde sie bislang nicht in ihrem erlernten Beruf. Sie fühlt sich in einem Büro sehr schnell gelangweilt und unterfordert. Nicole bezeichnet sich als Allrounderin, die viel Abwechslung und Herausforderungen braucht, um ihr Potential richtig ausschöpfen zu können.
Einmal kam sie ihrem Traum ziemlich nahe. Sie nahm eine Stelle als Kauffrau in einer bekannten Konditorei-Confiserie an, in der Hoffnung dort ihren Wissenshunger rundum das Thema Lebensmittel mit ihren Fähigkeiten als Kauffrau verbinden zu können. Sie sammelte Erfahrungen im Verkauf, in der Spedition und Auslieferung und man gewährte ihr ein Praktikum in der Backstube. Doch leere Versprechungen und ein schlechter Lohn veranlassten sie wieder zu gehen.
Dank dem Praktikum in der Backstube wurde sie zur Aufnahmeprüfung für das Studium der Lebensmitteltechnologie an der Fachhochschule in Wädenswil zugelassen und bestand diese. Doch auch diese Fährte erwies sich als Sackgasse. Während ihr eine Überdosis Chemie, Physik und Mathematik serviert wurde, entfernte sie sich immer weiter von den Lebensmitteln. Sie musste diese im Labor in kleinste Teile zerlegen und vermisste die Auseinandersetzung mit ganzen Lebensmitteln und deren Kombinationsmöglichkeiten. Ernüchtert brach sie das Studium wieder ab.
Schliesslich bewarb sie sich wieder für eine kaufmännische Stelle und landete in der Inserateverwaltung einer Medienfirma. Es dauerte nicht lange, bis sie sich wieder unterfordert fühlte. Obwohl sie ihren Arbeitgeber darüber in Kenntnis setzte, das Pensum reduzierte und ihr mehr Arbeit gegeben wurde, langweilte sich Nicole weiterhin. Vor kurzem reichte sie deshalb erneut die Kündigung ein.
Parallel zur Tätigkeit bei der Medienfirma begann Nicole samstags in einem herzigen kleinen Café in Rapperswil zu arbeiten. Die körperliche Anstrengung und die brennenden Beine am Ende des Tages sind ihr tausendmal lieber als die tödliche Langeweile im Büro. Sie mag den Kontakt zu den Gästen und schätzt es, dass dort immer etwas läuft. Ähnlich wie beim Backen vergisst sie im Café die Zeit und ist in ihrem Element. Nicole spielt nun mit dem Gedanken, diese Tätigkeit eine Zeit lang mit einem höheren Pensum weiterzuführen, aber als Haupterwerbsquelle kann sie es sich nicht vorstellen. Von der Idee ein eigenes Café zu eröffnen, sieht sie sich ebenfalls noch Lichtjahre entfernt. Und wieder ist es da: ihr Gefühl in einer Sackgasse zu stecken.
Von aussen betrachtet erlebe ich Nicole keineswegs als eine Frau, die in ihren Bemühungen scheitert, wie sie selber manchmal das Gefühl überkommt. Im Gegenteil, sie ist ein klassischer Fall für die verständliche Ungeduld auf der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Im Grunde ihres Herzens weiss Nicole, was sie am meisten fasziniert. Wenn sie mit Lebensmitteln, Blumen, Bast und Bändern hantieren kann, und wenn sie Events auf die Beine stellen und mit ihren Diensten anderen Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern kann, dann hat Nicole die passende „Nadel“ gefunden. Wo genau allerdings diese Qualitäten gefragt sind, ist nun die alles entscheidende Frage. Und vermutlich wird sich Nicole auch nochmal mit ihren innerlichen Hindernissen auseinandersetzen müssen, um den Sprung zu schaffen, sobald sich ihr eine passende Option eröffnet.
Bis es jedoch soweit ist, geniesst Nicole jede Gelegenheit zum Backen. Ende September durfte sie das Dessertbuffet für die Hochzeit einer Kollegin herstellen – inklusive Hochzeitstorte. Fünzehn Stunden waren dafür erforderlich und Nicole musste erstmals überlegen, was sie für ihre Arbeit verlangen soll und kann. Das war nicht einfach für sie, aber es ist einer jener kleinen Schritte, die nötig sind um ihrem Traum näher zu rücken. Ein nächster Schritt könnte sein, die rechtlichen Bedingungen abzuklären, bevor sie ihre Dienstleistung öffentlich macht und Visitenkärtchen drucken lässt.
Bis sie sich reif für einen solchen Schritt fühlt, bevorzugt sie ausgewählte Aufträge aus dem Bekanntenkreis. Diese sind nämlich überschaubar und enden garantiert nicht in langweiliger Massenproduktion. Wenn sie in ihrer kleinen Küche steht und zu lauter Musik süsse Köstlichkeiten kreiert, spielt die Zeit keine Rolle mehr. Im Vergleich zum Büro, wo sie immergleiche Aufträge abarbeitet, kann sie in der Küche sich selber und Lebensmittel im wahrsten Sinne des Wortes zur Blüte bringen.
*** ende ***
Wer sich von Nicoles süssen Träumen angesprochen fühlt und zum Beispiel eine Torte in Auftrag geben möchte, meldet sich bitte bei mir. Ich werde Anfragen gerne an sie weiterleiten.
Mit einem Lachen im Gesicht verrät mir Nicole zum Schluss des Interviews ihre Hoffnung, vielleicht eines Tages entdeckt zu werden und ein Angebot zu erhalten, welches ihre Liebe zu Lebensmitteln und ihr Flair für Eventmanagement auf wundersame Weise verbindet. Ich respektiere natürlich ihre zögerliche Haltung, kann mir aber am Ende unserer Unterhaltung ein paar konkrete Tipps und Ideen nicht verkneifen. Es liegt mir als Laufbahnberaterin am Herzen, suchende Menschen wie Nicole zu ermutigen, eigene Wege zu gehen und vermeintliches Scheitern als wichtige Puzzleteile bei der Realisierung von Träumen zu betrachten – denn ein solcher Prozess ist in der Regel kein „Schoggistängeli“.
Text: Barbara Sorino
Fotos: Nicole