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„Hätte nie gedacht, dass ich mal Winzerin werde“

Simone ist Zeichenlehrerin. Doch der Zufall wollte es, dass sie nun auch Trauben in Wein verwandelt. Dafür musste sie aber nochmals ordentlich viel lernen.

Simone`s Tante und ihr Mann hatten einen Traum. Sie wollten ein paar Reben. Aus diesen paar Reben wurde schliesslich ein ganzer Rebberg. Sie überlegten, wer denn Sorge tragen könnte zu ihrem neu erworbenen Weingut in Teufen. Und so kamen sie auf die Idee, ihre Nichte Simone zu fragen. Diese aber hatte bis anhin Wein nur getrunken und ebenfalls keine Ahnung, wie man aus Trauben edle Tropfen zaubert.

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Von Natur aus neugierig hat Simone schon einiges ausprobiert. Als Kind malte und gestaltete sie gerne. Von ihrem Grossvater, einem Hobbymaler, lernte sie, dass Malen eine Option im Leben sein kann. Also entschloss sie sich dazu, am Kunstgymnasium Liceo Artistico das Abitur abzulegen, um dann ein Studium an der Zürcher Hochschule der Künste zu absolvieren. 2006 hatte sie das Diplom als Zeichenlehrerin in der Tasche.

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Ihr erster Job als Aushilfslehrerin war ernüchternd. Simone erkannte, dass ihr diese Arbeit eigentlich nicht gefällt. Als sie merkte, dass sie diesen Beruf ja nicht auf Biegen und Brechen bis zur Pensionierung ausüben muss, fiel ihr ein Stein vom Herzen. Sie suchte zwei Schulen heraus, wo sie sich eine Tätigkeit als Zeichenlehrerin grundsätzlich vorstellen könnte, und bewarb sich. Ein gutes Jahr später meldete sich schliesslich die Kunstschule Wetzikon und Simone durfte dort unterrichten. Seit fünf Jahren gibt sie im Auftrag derselben Schule Malkurse für Erwachsene in Chur. Diesen Job liebt sie nun über alles.

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Bereits während der Schulzeit und später im Studium zog Simone die unterschiedlichsten Nebenjobs an Land. Auffallend häufig waren es Jobs, in denen sie sich am Aufbau von etwas Neuem beteiligen durfte. Das Hotel in Zürich beispielsweise, wo sie als Rezeptionistin arbeitete, war ein ehemaliges Freudenhaus. Nach der Renovation stiefelten immer wieder ehemalige Klienten herein. Sie musste ihnen erklären, dass das Hotel nun einem anderen Zweck dient. Ausserdem tingelte Simone als Hörberaterin zwei Sommer lang durch die ganze Schweiz. Sie begann sogar eine Matrosenausbildung, als sie auf einem Schiff an der Tössegg Billette knipste und im Service aushalf. Als Studentin belegte sie ein Gastsemester im Fachbereich Restauration an der Kunsthochschule in Bern. Im Anschluss fand sie eine Praktikumsstelle in einem Restaurationsatelier in Zürich, wo sie für das Projekt „St. Galler Globus“ Detailmalereien ausführen durfte. Daraus wiederum ergaben sich weitere Anfragen, zum Beispiel für die Restauration von Deckenmalereien in Aarau – allesamt willkommene Häppchen für zwischendurch.

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Und eines Tages eben kam die Anfrage ihrer Tante, ob sie denn nicht auf ihrem Weinberg an der Tössegg mitarbeiten wolle. Warum nicht? Es dauerte nicht lange und Simone fing Feuer. Die Bodenständigkeit der Arbeit und die Müdigkeit am Ende eines Arbeitstages faszinierten sie. Es sei zwar ein dummes Modewort, aber „Entschleunigung“ bringe es auf den Punkt, meint sie. Keine Hektik und alles unterliegt dem vorgegebenen Rhythmus der Natur.

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Aber, um aus Trauben Wein herzustellen, benötigt es entsprechendes Know-how. Dieses eignet sie sich nun Schritt für Schritt an. Sie hat das Glück, von Beat Kamm, Inhaber von Schloss Teufen, gecoacht zu werden. Im Gegenzug werden die Trauben in seinem Keller winifiziert. Das heisst, noch wird Simone`s Wein in seinem Keller produziert. Ihr Ziel ist es nämlich, auch diesen Teil der Arbeit eines Tages selbständig ausführen zu können. Mit der Zeit, sagt sie, bekommt man das nötige Fingerspitzengefühl für die einzelnen Arbeitsschritte. Man erkennt die Zusammenhänge und den natürlichen Zyklus des Weins von der Traube bis ins Glas.

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Um einen möglichst umfassenden Einblick in die Winzerarbeit zu erhalten, absolvierte Simone zusätzlich zwei Praktika. Im vergangenen Jahr verbrachte sie zum zweiten Mal mehrere Wochen im Bündnerland. Dieses Mal bei einer Frau, die ebenfalls als Quereinsteigerin ins Weingeschäft gewechselt hat. Dabei ging es um ganz praktische Fragen, zum Beispiel wie sich eine Frau in einem Weinkeller einrichtet, in dem etliche Arbeitsschritte viel Kraft erfordern und mit verschiedenen Gerätschaften hantiert wird.

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Die Winzerei ist neben der praktischen Arbeit eine Wissenschaft für sich. Simone trägt diesem Teil Rechnung, indem sie auf einen Lehrabschluss hinarbeitet. Um Wissenslöcher zu stopfen, setzte sie sich als Gasthörerin in die Berufsfachschule in Wädenswil und büffelte mit 25 anderen Lehrlingen für die Lehrabschlussprüfung. Vor kurzem hat sie den theoretischen Teil nach nur einem halben Jahr Schulbesuch erfolgreich bestanden. Gemäss Artikel 32 können Erwachsene in der Schweiz jede Lehre im Rahmen der Nachholbildung abschliessen. Simone fehlen noch einige Praxisstunden, bis sie 2014 den zweiten Teil der praktischen Prüfung ablegen kann. Sie muss sich unter anderem noch mehr Routine im Umgang mit den verschiedenen Maschinen und dem Spritzen der Reben aneignen. Beat Kamm wird ihr dieses Jahr zudem bei der Weinproduktion im eigenen Keller über die Schulter schauen und nach Bedarf Tipps geben, um Fehler zu vermeiden. So kommt Simone Schritt für Schritt ihrem Ziel näher, komplett von A bis Z eigenen Wein zu keltern. Nie im Leben hätte sie gedacht, mal Winzerin zu werden. Nun ist sie auf dem besten Weg dazu.

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Die vielfältigen Interessen von Simone deuten darauf hin, dass sie eine Scannerin* ist. Sie versteht es wunderbar, möglichst vieles unter einen Hut zu bringen, erwähnt aber auch, dass durchaus die Gefahr des Verzettelns besteht. Deshalb konzentriert sie ihre Energie und Zeit bewusst auf drei Bereiche: ihr Malatelier, Malkurse und Wein. Die Malkurse in Chur sind ihr einziger Fixstern. Der Rest bewegt sich drum herum. Alle drei Aspekte ergänzen sich perfekt. Einerseits ist da die Arbeit im Rebberg, die etwas Bäuerliches an sich hat und wo die Natur den Takt vorgibt. Andererseits kann sie sich in der Malerei verlustieren, die eher etwas Abgehobenes an sich hat. Um als Künstlerin glaubwürdig zu sein, beschäftigt sich Simone bewusst mit neuen Dingen, um daraus Ideen zu generieren. Dazu zählt nun eben auch der Wein. Die Gemeinsamkeit dieser verschiedenen Welten besteht darin, dass Simone einem roten Faden folgt und etwas entwickeln kann, bis es in ihren Augen gut ist. Sie hat zwei Leidenschaften gefunden, die letztlich demselben Ziel dienen, nämlich die eigene Handschrift sichtbar zu machen, sei es in Bildern oder im Wein.

*** ende ***

PS: Simone Monstein ist mir vor einem Jahr zufällig im Linas in Winterthur über den Weg gelaufen. Sie traf dort Vorbereitungen für eine Degustation ihrer Weine. Ich hatte Lust, diese junge Frau mit dem spannenden Lebenslauf näher kennen zu lernen. Am 12. Oktober 2013 besuchte ich sie an ihrer Finissage in der Kalberhalle Lichtensteig, wo sie im Rahmen der „Kunst-Tage“ einen Teil ihrer grossformatigen, farbensprühenden Bilder ausstellte. Das anschliessende Interview bestätigte mich darin, dieser unerschrockenen Frau eine Bloggeschichte zu widmen. Sie lebt vor, wie lohnenswert es ist, Interessen ernst zu nehmen und etwas auszuprobieren, „auch wenn man nicht weiss, was dabei herauskommt“. Simone hatte das Glück, in einer experimentierfreudigen Umgebung aufzuwachsen, wo in Möglichkeiten gedacht und gelebt wurde. Ihrer Meinung nach „kann man nichts verlieren, nur gewinnen“, zum Beispiel einen guten Schluck Wein, den man auch noch selber gezogen und geerntet hat. Da kann ich nur sagen: Chapeau! Zum Wohl!

Ich danke Simone für den lebendigen Einblick in ihre aufregende Welt, für das Interview am 12. Oktober 2013 in der Kalberhalle Lichtensteig und für die Fotosession im Weinberg Rhyhalde am 26. Oktober 2013.

© Text und Fotos: Barbara Sorino

Weitere Informationen und Links:

Link zum Studiengang „Vermittlung von Kunst und Gestaltung“ an der Zürcher Hochschule der Künste (zhdk): http://www.zhdk.ch/index.php?id=ba_vermittlung

Link zu Müller-Benz-Weine und zum Weinberg Rhyhalde in Teufen/Tössegg: http://www.muellerbenz.ch/weinberg/

Informationen zur Winzerlehre in der Schweiz: http://www.berufsberatung.ch/dyn/1199.aspx?id=2974&searchsubmit=true&search=Winzer

Informationen zur „Nachholbildung für Erwachsene nach Artikel 32“ in der Schweiz: http://www.berufsberatung.ch/dyn/47650.aspx

* Was ist ein/e „Scanner/in“? Definition nach Barbara Sher:

„Ein Scanner ist jemand, der auf ganz besondere Weise denkt. Im Gegensatz zu Menschen, die mit einem einzigen Interessengebiet zufrieden sind, sind Scanner genetisch so strukturiert, dass sie sich für viele Dinge interessieren und genau das versuchen zu leben. (…) Für Scanner ist die Welt wie ein riesiger Süssigkeitenladen voller Verlockungen. Am liebsten würden sie mit beiden Händen zugreifen und sich die Taschen vollstopfen. (…) Das Problem ist, dass Scanner im Süsswarenladen verhungern. Sie denken, dass sie nur von einer Süssigkeit naschen dürfen. Dabei wollen sie von allen naschen. Wenn sie sich zu einer Entscheidung durchringen, sind sie ewig unzufrieden.“

Gemäss Barbara Sher sind Spezialisten keine Scanner. Wenn jemand in einem Bereich völlig aufgeht und sich dort wohl fühlt wie ein Fisch im Wasser, dann handelt es sich um „Taucher“, wie zum Beispiel Profimusiker, Wissenschaftler, Sportler oder Bankiers.

„Im Gegensatz dazu sind Scanner immer begierig zu erfahren, was es da draussen in der Welt noch so alles gibt. (…) Ein Scanner verbringt viel Zeit damit, den Horizont abzustecken und über seinen nächsten Schritt nachzudenken.“

Lesen Sie mehr über Scanner und wie diese ihre vielen Talente ins Leben integrieren können:

Barbara Sher: „Du musst dich nicht entscheiden, wenn du tausend Träume hast“

  1. Barbara Sorino #

    Freue mich auf eure Kommentare! B.Sorino

    27. Oktober 2013
  2. Zoë #

    Liebe Barbara
    Ich gratuliere Dir zu diesem schönen Porträt mit den sprechenden Bildern und Fotos und auch für das Hirnfutter über Art. 32 und die mir wohlbekannten Scanner 🙂

    27. Oktober 2013

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